Die Kunst des (aktiven) Zuhörens.

Seit meiner systemischen Coaching Ausbildung hat das Zuhören für mich eine völlig neue Bedeutung angenommen. Oft hatte ich mich im Nachteil gefühlt, als ich nicht Teil der “Macherinnen” war. Diejenigen, die statt aktiv zuzuhören eher viel gesprochen hatten und ihr Wissen und Können präsentiert hatten. Mittlerweile erkenne ich, dass das Zuhören eine besondere Kunst des Lernens ist. Wenn ich selbst spreche, reproduziere ich zu einem großen Teil mein eigenes Wissen. Wenn ich wirklich zuhöre, dann generiere ich Wissen. Nun wie fast immer liegt die wahre Kunst bestimmt in der Mitte, in der Balance zwischen Zuhören und Sprechen.

Im Englischen treibt sich der Begriff “gathering intelligence” herum, um den Vorteil des Zuhörens zum Ausdruck zu bringen. Auch wissen wir mittlerweile, dass die europäische wie auch die amerikanische Kultur nicht unbedingt eine Kultur des Zuhörens ist, viel mehr ist unsere Kultur geprägt durch das ständige Zeigen, was wir alles können. Und hier finden wir die erste Erkenntnis. Neben anderen Störfaktoren, wie die Überflutung durch Nachrichten, die Ablenkung durch unsere Smartphones, zeigt sich ein Hauptfaktor warum wir nicht richtig zuhören, im ständigen Nachdenken, was wir als Nächstes sagen werden. Dadurch verlieren wir ganz viel an Informationsgehalt unseres Gegenübers, weil wir provokativ ausgedrückt, viel mehr mit unserem eigenen Ego beschäftigt sind und uns gut präsentieren wollen.

Ob wir als Mensch eher extrovertiert oder introvertiert sind, hat natürlich einen großen Einfluss, ob wir überhaupt gerne sprechen. Was passiert also in Gruppen oder Teams, wo introvertierte Menschen auf extrovertierte Menschen treffen? Würden nicht manche dann (überspitzt formuliert) nur noch sprechen und anderer nur noch zuhören? Dadurch fließt ganz wenig Wissen. Unter unzähligen Studien über die Effizienz von Teams gibt es auch Erkenntnisse, dass nicht die unterschiedliche Zusammensetzungen von Persönlichkeitstypen einen bemerkenswerten Einfluss auf die Erfolge der Teams hatte, sondern die Anpassung der Redeanteile der Mitarbeitenden, um sicherzustellen, dass alle einen gleichen zeitlichen Anteil am Gespräch haben.

Warum macht das so viel aus? Ich spekuliere mal: A müssen wir dann wohl nicht ständig nur darauf warten, das Wort zu bekommen. Vor allem die Zurückhaltenderen, müssen nicht non stop auf die Luftpausen der natürlichen Rede-Talente warten, in der sie dann sofort loslegen müssen, damit ihnen nicht in der nächsten Sekunde das Wort wieder genommen wird. B können wir unsere Redezeit so nutzen, wie wir sie nutzen wollen. Wir können langsam sprechen, nachdenken, wirken lassen, zwischendurch atmen. Außerdem können wir, weil wir vorher aktiv zuhören konnten, auf das Gesprochene wirklich eingehen, ohne einfach nur unsere Agenden möglichst schnell voranzutreiben, um uns bestmöglich selbst zu präsentieren. C sprechen auch endlich die, die sonst viel zuhören und wie wir nun schon gelernt haben, lernen die Zuhörenden am meisten, weil sie nicht ständig damit beschäftigt sind, sich selbst reden zu hören. D arten Ideen, die im Moment vielleicht nicht besonders effektiv wirken, nicht aus, schließlich ist die Zeit begrenzt.

Und das wohl schönste Argument fürs Zuhören und anteilige Redezeiten sind die kreativen Ideen, die Innovation, der Fortschritt und der Lerneffekt, die daraus resultieren können.

Übrigens ist ein zu hohes Level an Stress ein regelrechter Dämpfer, wenn es um das Können des Zuhörens geht. Je gestresster wir Menschen sind, desto weniger sind wir in der Lage, unseren Mitmenschen aktiv zuzuhören. Um nicht zu versagen, rasseln wir in eine Kettenreaktion nicht fördernder Handlungen. Wir hören nicht mehr zu, wir nehmen nicht mehr wahr, was sich in unseren Teams oder privaten Beziehungen abspielt und wir schränken wertvolle Ressourcen unserer Mitmenschen, die uns unterstützen könnten, ein.

Hier schließe ich den Kreis von der Wichtigkeit des Zuhörens, indem uns nun wohl allen klar ist, dass wir nur gut zuhören können, wenn wir selbst in Balance sind, wenn unsere Bedürfnisse größtenteils befriedigt sind und wenn wir unsere eigenen Ressourcen und die unserer Mitmenschen erkennen und zum Vorteil eines ganzen Teams machen. 

Vielleicht fragst du dich jetzt noch was es mit dem aktiven Zuhören auf sich hat. Es ist eine der Hauptmethoden im Coaching und beinhaltet mehrere Ebenen des Zuhörens, wie beispielsweise eine Sachebene aber auch eine empathische Ebene, sowie einige mehr. Außerdem bedeutet aktives Zuhören, auf das Gesprochene einzugehen. Deutlich zu machen, dass man aktiv zuhört durch beispielsweise Mimik und kurze Laute, aber auch wertschätzend und interessiert (ohne unnötige persönliche Neugierde) das Erzählte zu verfolgen.

Ein uns so gängiger, alltäglicher Mechanismus wie das Zuhören kann wohl so viel mehr sein als die Ohren zu spitzen und sich in der Qualität stark unterscheiden.

Ich verrate dir ein Geheimnis: als Coachin höre ich dir zu ungefähr 70% ganz genau und aktiv zu. In den restlichen 30% kümmere ich mich darum, deinen Prozess zu leiten und mich selbst immer wieder von außen zu beobachten, um sicherzustellen, dass ich nicht aus Eigeninteresse nachfrage, dass ich deine Gedanken, Gefühle und Ressourcen zu jedem Zeitpunkt wertschätze, dass ich dir einen Raum biete, indem du dich öffnen kannst und dich ständig am schmalen Grad zwischen Herausforderung und Überforderung halte, damit du deinem Ziel näher kommen kannst. 


In diesem Sinne, lasst uns einander zuhören, wertschätzen und voneinander lernen! 

Happy coaching, happy self-development!

J.